Eine besonders verrückte Woche...
Laura Valenti
Es ist Februar und Zeit, wieder einmal nach Spitzbergen zu fahren. Ich
treffe mich, wie letztes Jahr auch schon, mit Klaus-Dieter am Osloer
Flughafen. Dort geht’s weiter nach Tromsö, wo wir eine Nacht
bleiben, um am darauffolgenden Tag nach Longyearbyen, Spitzbergen,
aufzubrechen. Der Flug dorthin ist sehenswert: Wolkenfreier Himmel,
super Sicht auf die zahlreichen Gipfel Spitzbergens (daher der Name),
auf das Packeis, das von oben wie Pflastersteine aussieht. Die Landung
ist erstaunlich sanft. Ich bin immer recht angespannt beim Gedanken,
mit einer Boeing 737 auf einer Eispiste zu landen.
Longyearbyen empfängt uns von seiner besten Seite: schönes
Wetter, “milde“ –25 Grad, fast kein Wind. Nach dem Einchecken im Hotel
und Auspacken machen wir unseren üblichen
Akklimatisierungsspaziergang. Wir fühlen uns sofort wie zu Hause.
Was uns allerdings etwas beschäftigt, ist die Tatsache, dass im
Moment der Eisbär in jedermanns Munde ist. Wenige Tage vor unserer
Ankunft war ein Eisbär mitten im Ort 2 Stunden lang spazieren
gegangen. Vor unserem Hotel, an der Hauptstrasse entlang... Wie gesagt,
nach 2 Stunden wurde jemand auf ihn aufmerksam und der Bär wurde
vertrieben. Das Ganze spielte sich zum Glück mitten in der Nacht
ab, so kam niemand zu Schaden. Es ist seit Jahren nicht mehr
vorgekommen, dass ein Bär in den sonst eisbärenfreien Ort
eindringen konnte! Der Sysselmann, der Gouvernuer von Svalbard
(Spitzbergen), hat extra ein Warnschild anbringen und Warnblätter
verteilen lassen, dass hohe Eisbärengefahr drohe. Naja...
Am nächsten Tag haben wir nach kurzer Ueberlegung beschlossen, die
geplante Schneescootertour trotzdem anzutreten. Der Guide ist ja
schliesslich bewaffnet. Wieder war das Wetter sehr schön, kein
Wölkchen am Himmel, allerdings blies ein recht kalter Wind:Hakan,
ein „altberkannter“ Guide ,wollte uns eigentlich nach Coles Bukta
führen, einem schönen Aussichtspunkt am zugefrorenen Fjord.
Doch dieses Unterfangen scheiterte Kläglich, als sich auf der
einen Seite Klaus-Dieters Schlitten in einen Schneehügel
verfing und kippte-und einen umgekippten Schneescooter wieder
aufzurichten, am Schräghang, mitten im Tiefschnee, ist nicht
gerade einfach. Andererseits hatte sich auch Hakan nur wenige Meter vor
Klaus-Dieter in einem Schneehügel festgefahren, und zwar derart,
dass wir den Scooter auch mit Schaufeln nicht mehr freibekommen
konnten. Schlussendlich musste der Guide seinen Scooter mit meinem
herausziehen. Ich sass auf Hakans Scooter, er auf meinem. Seine
Anweisung, ich solle „mit Gefühl“ Gas geben, war ein Witz :ich
habe ja ein ausgeprägtes Feingefühl für festgefahrene
Scooter! Am Ende haben wir es doch geschafft, doch Hakan hatte die Nase
voll und so haben wir kehrtum gemacht und sind zu einem anderen,
schönen Aussichtspunkt gefahren. Kaum 24 Stunden vor Ort, und
schon hat die Arktis wieder einmal den Tarif durchgegeben: Es kommt
immer alles anders als geplant.
Das traf auch für den nächsten Tag zu. Beim
Frühstück aus dem Fenster schauend haben wir uns wieder
über das tolle Wetter gefreut. Klaus-Dieter meinte noch kurz, es
sei etwas windig. “Etwas“ war eine gewaltige Untertreibung, wie sich
kurz später herausstellen sollte. Schon das Öffnen der
Hoteleingangstüre sollte sich als Kraftakt entpuppen. Draussen
angekommen sind wir vom Wind fast umgeblasen worden. Nach wenigen
Sekunden war es schlagartig klar, dass ein Weitergehen ohne Balaklava,
der „Arktisgesichtsmaske“, undenkbar war. Also: Ueberziehen der
Balaklava, doch die Augen begannen unter dem starken Wind zu
tränen und froren sofort zu Eis. Das Sehen war fast
unmöglich. Nach wenigen Schritten sah Klaus-Dieter wie der
Weihnachtsmann aus, sein Schnauz war zu Eis gefroren! Wir haben uns mit
einiger Mühe zum etwa 500m entfernten Schneescooterverleih
gekämpft-und kämpfen ist das richtige Wort dafür. Dort
angekommen, hat man uns mitgeteilt, dass sämtliche Ausflüge
gestrichen worden seien, es seien –52 Grad Wind Chill. Wir haben
beschlossen, ein Auto zu mieten und die 15km lange Strasse zwischen der
Kohlenmine und dem Flughafen zu fahren und Photos zu machen.
“Arktischer Sturm von innen“ quasi. Wir haben blitzartig eine
Kaninchenfellkappe gekauft, die Balaklava umgestülpt und
während sich Klaus-Dieter um das Mieten des Gewehrs gekümmert
hat (der Eisbär lässt grüssen), sollte ich die
Formalitäten mit dem Autohändler erledigen. Das war aber
leichter gesagt als getan: ich sah ihn mit dem Auto vorfahren, er stand
etwa 15m neben mir (näher dran konnte er wegen Tiefschnee nicht
fahren), aber ich konnte ihm beim besten Willen nicht
entgegengehen. Der Wind hat derart gegen mein Gesicht, v.a. gegen meine
Augen gepeitscht, dass ich mich unmöglich zum Wind hin drehen
konnte. So habe ich mich dem Autohändler rückwärts
gehend genähert. Wir haben uns nach innen geflüchtet und er
hat ein paar Tips zum Fahren „bei arktischen Bedingungen“ gegeben. Sein
erster Tip war: “Öffnet die Türen nur, wenn der Wind von
hinten kommt, sonst werdet ihr von der zuschmetternden Türe
erschlagen“. Recht hatte er ja, aber netterweise hatte er das Auto
gegen den Wind parkiert, und bevor die Tür vom Wind zugeschmettert
werden kann, muss man sie ja noch aufbekommen...
Der Tag war die Sensation schlechthin. Wir sind munter herumgefahren,
haben zahlreiche Photos gemacht, waren nur ganz kurz draussen, in
voller Montur mit Balaklava und „Russenmütze“. Die Handschuhe
ausziehen war eine schmerzhafte Geschichte, die Finger haben nach
wenigen Sekunden tierisch weh getan und wurden im Nu taub. Zudem fror
die Kamerahülle ständig ein, was das Versorgen der Kamera
unmöglich machte. Die meisten Photos haben wir vom Auto aus
gemacht. Da wir schon ein Auto hatten, sind wir ins Ortsmuseum gegangen
(das ist ein rechtes Stück entfernt). Dort hat man uns berichtet,
dass ein Eisbär beim Flughafen (von dort kamen wir gerade!) 2
Russen angegriffen hatte und erschossen werden musste! Da die
Eisbären strengstens geschützt sind und nur im
äussersten Notfall erschossen werden dürfen, ist das
eine Seltenheit... Soviel zum Thema Eisbär!
Der nächste Tag war wieder wolkenlos, wieder windig, -54 Grad Wind
Chill, aber unsere geplante Hundeschlittentour fand statt. Wir waren zu
sechst, drei Touristen und drei Guides, auf drei Schlitten à je
sechs Hunden. Die Huskies waren wie immer bester Laune und voller
Vorfreude. Dementsprechend war das Einspannen der Hunde ein ziemlicher
Akt. Die Fahrt führte uns in ein malerisches Tal, die Berge im
Schein der für diese Jahreszeit so typischen Pastellfarben waren
wunderschön; das Hecheln der Hunde, das Knirschen der Kufen im
Schnee, die Weite der Arktis-ein Traum. Aus diesem sind wir allerdings
jäh erwacht, als unsere Hunde plötzlich beschlossen, einen
anderen Weg als den vom Guide vorgesehenen einzuschlagen und uns an
einen derartigen Schräghang geführt haben, dass der Schlitten
gekippt ist. Ich sass nichts ahnend im Schlitten, alles ging
blitzartig, plötzlich sah ich nur noch Schnee. Zum Glück sind
wir nur mit dem Schrecken davon gekommen.
Diese Tour sollte sich überhaupt als hindernisreich herausstellen.
Denn etwa eine Stunde später, da sass Klaus-Dieter auf dem
Schlitten und ich fuhr (man hat sich immer wieder abgewechselt), haben
die Hunde den weit und breit einzigen Felsbrocken angepeilt und haben
so den Schlitten auf den Stein festgefahren. Ich bin also von den Kufen
gestiegen und habe angefangen,den Schlitten zu stossen. Plötzlich
war er frei und die Hunde haben mit grossem Enthusiasmus ihr Rennen
fortgesetzt. Nun stand ich ja aber nicht mehr auf den Kufen und es
blieb mir nichts anderes übrig, als wie eine Irre hinter dem
Schlitten herzurennen, bis ich mit einiger Anstrengung den Haltegriff
wieder zu fassen bekam. Aber wie um Himmels willen sollte ich auf die
Kufen zu stehen kommen?! Meine Kraft ging zu Ende, also habe ich mit
letzter Kraft den Griff gepackt, habe einen Klimmzug gemacht und bin
mit voller Wucht auf der Bremse gelandet. Wir haben einen Vollstopp
gerissen, Klaus-Dieter fiel fast vom Schlitten, seine
Äusserung „was ist denn jetzt los?“ (er hatte offensichtlich
von meiner Joggingtour gar nichts mitbekommen) und den erstaunten Blick
der Hunde („die spinnt ja völlig, wir waren doch so gut in Fahrt“)
werde ich wohl nicht mehr vergessen. Aber das Tüpfchen auf dem i
war die Bemerkung des einen Guides, die sagte: “als ich Ihnen vorher
sagte, sie sollen die Hunde bei schwierigen Passagen unterstützen,
meinte ich nicht, dass sie vom Schlitten steigen und hinterherrenen
sollten“. Was sie nicht sagte...
An dem Abend war ich auf alle Fälle ziemlich erledigt.
Der nächste Tag sollte noch anstrengender werden:morgens eine
4-stündige Schneescooterfahrt-wunderschön, wieder wolkenloser
Himmel, wieder Windchillwerte von –50. Abends eine erneute
Hundeschlittentour-im Dämmerungslicht, die Umrisse der Berge, der
Mond-sensationell. Da am Nachmittag etwa eine Stunde vor unserer
Abfahrt der Eisbär am Hundezwinger gesichtet worden war (der
Eisbär lässt grüssen), ging die Tour durch ein breites,
übersichtliches Tal, damit man den Bären frühzeitig
erkennen könnte. Auch dieser Guide war mit einem Gewehr und einem
Revolver bewaffnet. Diese Tour war für mich wieder eine
athletische Uebung: vom Schlitten gefallen bin ich zwar nicht, aber
gegen Ende waren die Hunde müde und ich musste z.T.
Trottinette-fahrend mithelfen, den Schlitten anzugeben. Der eine Guide
von gestern hat dann lobend bemerkt: “Sehen Sie, das meinte ich gestern
mit den Hunden helfen“. Hahaha...
Eine wahrlich abenteuerliche Woche, die härteste bisher. Viel
Wind, arktische Kälte (es war nie wärmer als –45 Wind Chill).
Ich schaue in den Spielgel und sehe zwei dicke schwarze Augenringe.
Dieser Urlaub wird wohl nicht als Erholungsurlaub in die Geschichte
eingehen. Aber wer fährt schon zur Erholung in die Arktis...?
Zur Übersichtsseite
März 2004 Datenschutzerklärung