Reisetagebuch Sommer 1998

Dienstag, 7. Juli 1998

Als ich aufwache bemerke ich, daß das Schiff ganz ruhig fährt. Durch das Bullauge sehen wir blauen Himmel und blaugrünes Wasser. Sonne! Eigentlich müßte doch jetzt schon die Küste zu sehen sein? Aber die ist auf der anderen Seite des Schiffs! Also schnell einsatzfähig machen und hoch und raus auf das Deck. Brrr.. Hier ist es kalt! Wir sind in der Arktis! Aus dem Wasser ragt in einiger Entfernung die Küste empor. Wir sind am Sørkap, der Südspitze Spitzbergens, vorbei und fahren der Küste entlang nach Norden. Das Land besteht aus unheimlich vielen, meistens schneebedeckten Bergen. Die Farben sind anthrazit bis braun und viel weiß. Dazu blaugrünes Wasser, hellblauer Himmel und Sonne! Die Berge sind alle dreieckig und spitz. Deshalb "Spitzbergen"? Kann schon sein.

Erster Eindruck von Spitzbergen
 

Nun gibt es Frühstück. Das Buffet ist lecker und ich bedauere, daß ich das gestern versäumen mußte. Währenddessen fahren wir weiter der Küste entlang bis zum Eingang des Isfjorden. Ein gutes Frühstück und dabei Spitzbergens Küste anschauen, was will man noch mehr???

Am Eingang des Isfjorden kann man einige Gebäude und große Parabolantennen erkennen. Das ist "Isfjord-Radio", die Telekommunikationsverbindung von dieser Insel über Satellit zum norwegischen Festland. Wir sind nun etwa 800 km nördlich des Nordkaps, das von vielen Touristen für den nördlichsten Punkt der Welt gehalten wird, den man erreichen kann. Wir fahren in den Isfjorden hinein.

Kap Liné mit Isfjord Radio, die Kommuniktionsverbindung zum Rest der Welt
 

Plötzlich erscheinen ein paar Leute der Schiffsbesatzung und räumen den hinteren Teil des Decks frei. Alle dort befindlichen Passagiere werden gebeten ein Deck höher zu gehen. Die Schiffsflagge wird abgenommen und der Fahnenmast eingeklappt. Was geschieht nun? Ich habe es rechtzeitig erfahren und mir einen guten Platz auf dem oberen Deck gesichert: Es soll eine Hubschrauberübung geben. Die Polizeitruppe des "Sysselmanns" (Gouverneur der Inselgruppe) soll üben sich  auf ein Schiff abzuseilen. Es erscheinen zwei große Hubschrauber. Einer hält sich ein Stück entfernt und beobachtet die Übung, der zweite steht so etwa zwanzig bis dreißig Meter über dem Schiff. Ohrenbetäubender Lärm. Die Tür wird geöffnet und eine Leine heruntergeworfen, die von der Schiffsmannschaft gehalten wird. Dann werden drei Personen mit einem Kran entlang des Seils auf unser Schiff gebracht. Ein Mann und  zwei Frauen in der Uniform der Polizei des Sysselmanns. Der Hubschrauber dreht ab und fliegt das Schiff erneut an. Wieder wird ein Seil heruntergeworfen. Nun werden die drei wieder mit dem Kran hochgezogen und im Hubschrauber aufgenommen. Unsere Bewunderung ist ihnen sicher. Wer von uns sich das wohl getraut hätte? Eine tolle Flugschaueinlage. Es hat mindestens einen halben Diafilm gekostet!

Willkommen auf M/S Nordstjernen!
 

Dann gibt es noch ein schnelles Mittagessen vom Buffet. Für mehr ist keine Zeit, denn wir kommen in Longyearbyen, im Adventfjord, an. Sobald das Schiff angelegt hat geht es von Bord. Wieder festen Boden unter den Füßen! Wir sind in LONGYEARBYEN! Viel habe ich in den letzten Jahren über Spitzbergen gelesen, ganz besonders über diesen Ort und nun sind wir wirklich hier. Longyearbyen ist der norwegische Hauptort der Inselgruppe Svalbard (Die Norweger nennen die Inselgruppe "Svalbard" und die Hauptinsel "Spitsbergen" bei uns wird üblicherweise die gesamte Inselgruppe "Spitzbergen" genannt.). Er hat ca. 1200 Einwohner, die zum großen Teil für die Kohlegesellschaft "SNSK" arbeiten, die hier ein Bergwerk betreibt. Einige arbeiten in wissenschaftlichen Instituten, in der Verwaltung oder bei ein paar kleinen Firmen. Im Sommer hat der Tourismus eine gewisse Bedeutung erlangt. Der Ort ist weit auseinandergezogen und besteht aus mehreren Ortsteilen. Es gibt viele Häuser in allen Farben, einige asphaltierte und einige unbefestigte Straßen und Wege. Uns fallen viele Rohrleitungen auf, die durch den ganzen Ort oberirdisch verlegt sind. Das sind Versorgungsleitungen und Fernheizung, die man wegen des Permafrostbodens  nicht eingraben kann. Selbst im Juli tauen nur ein paar Zentimeter des Bodens auf und verwandeln sich dann teilweise in Matsch. Rund um den Ort sind Berge, die Gegend hier heißt "Adventdalen".  Nach ca. zwei Stunden "Stadtbummel" Steigen wir in einen Bus und lassen uns zuerst das Museum, den Ort, das Adventdalen und die Galerie zeigen.
Alles begeistert uns sehr. Das Museum zeigt einiges über das Leben in dieser Gegend hier und über das der Trapper sowie über den Kohlebergbau. In der Galerie entdecke ich ein Schild das auf das Verbot des Betretens  mit Schußwaffen hinweist. Es ist hier völlig normal wenn einer ein Gewehr rumschleppt, man braucht es wenn man den Ort verlassen will als Schutz gegen eventuell angreifende Eisbären.

Ankunft in Longyearbyen
 

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Wir wären gerne noch etwas hier geblieben, aber die  Abfahrtszeit der Nordstjernen rückt näher und wir müssen zurück zum Kai. Longyearbyen reizt zu einem weiteren, längeren Aufenthalt. Das Wetter ist immernoch traumhaft schön. Wir haben ca. +14°C, das gilt selbst im Juli als Hitzewelle hier. Bei einem Anruf bei meinen Eltern in Frankfurt habe ich erfahren, daß dort das Wetter ganz furchtbar schlecht ist und es etwa 10°  hat. Verkehrte Welt...
Wir haben erfahren, daß einer der älteren amerikanischen Passagiere tatsächlich der Enkel des Gründers von Longyearbyen (Mr. Longyear) ist. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, daß uns jetzt ein Fernsehteam der NRK (Norwegisches Fernsehen) auf dem Schiff begleitet? Später erfahren wir, daß die das auch nicht wußten, aber zufällig beim Abendessen herausbekommen  haben, denn sie saßen mit ihm am selben Tisch. Sie machen gleich ein Interview mit ihm auf dem Decke und scheinen recht zufrieden zu sein, ihr Auftrag ist wohl einen Filmbericht über Tourismus in Spitzbergen zu drehen.
(Hafen Longyearbyen: 78° 13,617' N, 15° 37,439' E)

Dann geht die Fahrt weiter in den Tempelfjorden. Er heisst so, weil die Bergformationen an Tempel erinnern. Weiter geht es in den Billefjord. Hier könnte man bis zu der russischen Siedlung "Pyramiden" fahren, aber es ist noch zuviel Eis im Fjord. Durch die ersten Eisschollen fahren wir noch krachend hindurch, die Nordstjernen ist bedingt eisgängig, aber dann wird es dem Kapitän zuviel und das Schiff dreht wieder ab. Die Eisschollen im Fjord sind trotzdem beeindruckend.

Inzwischen ist es Mitternacht geworden. Die Sonne steht noch hoch am Himmel und wärmt. Viel höher als man das von der Mitternachtssonne Nordnorwegens, das nun unheimlich weit im Süden liegt, kennt. Wohl oder übel beschließen wir zu Bett zu gehen. Warum tut man so etwas eigentlich???

Billefjorden

Das Eis versperrt die weitere Fahrt in den Fjord
 

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