Ein arktischer Exkurs                                 
Laura Valenti 

Ganz plötzlich hat mich das "arktische Fieber" gepackt. Ich musste unbedingt wieder in den ganz hohen Norden - und zwar bald. Meine "Frankfurter Spitzbergen-Clique" liess sich sehr schnell zu diesem Abenteuer überreden. Und so sind wir losgezogen - mitten in den arktischen Winter.

Die Landung in Svalbards (= Spitzbergen) Hauptort Longyearbyen machte klar, was Arktis im Winter bedeutet. Als wir vom Flugzeug aus dem Fenster schauten konnten wir zuerst den Flughafen resp. die Landebahn nicht erkennen. Wir haben uns angeschaut, wieder hinausgeschaut - und da sahen wir diesen grau-weißen, sehr langen Streifen. Meine Frage an Herbert, gefolgt von leerem Schlucken: "Du, siehst Du irgendwo Asphalt?" konnte er nur verneinen. Es war klar: wir würden auf Eis landen, auf blankem Eis. Kunststück, dass die Landebahn so lang ist... Trotzdem - die Landung war sanft, und das Flugzeug kam wirklich zum Stillstand.

Beim Aussteigen wurde uns einiges klarer: Das Eis ist anders hier oben als bei uns, es ist nicht spiegelglatt. Dadurch, dass die Temperaturen soviel kälter sind und dass fast immer starke Winde wehen, wird die Oberfläche rauh und gibt erstaunlich guten Halt. In all den Tagen dort oben sind wir immer auf purem Eis gegangen und nicht einmal hingefallen.

Svalbard hat uns mit relativ mildem Wetter empfangen.: -20 Grad, es wehte aber ein derart starker Wind, dass wir z.T. kaum aufrecht stehen konnten. Unser "Spaziergang" vom Hotel bis zum Ortsmuseum (800 m) dauerte denn auch eine Stunde. Wir hatten mit mehreren Problemen zu kämpfen. Auf der einenSeite waren wir so dick bekleidet, dass Astronauten dagegen beneidenswert schlank erschienen. Meine "Minimalausstattung" bestand aus langer Thermounterwäsche, darüber ein Paar Faserpelz-Leggings, plus ein Paar Daunenhosen und zum Abschluß ein paar Gore-Tex Hosen. Dann natürlich drei Faserpelz-Pullis, eine ganz dicke Daunenjacke mit Daunenkapuze und -kragen (reicht bis unter die Augen), drei Paar Handschuhe, zwei Paar Socken und ein sehr dickes Paar Stiefel. (Bei Snowscooter- und Hundeschlittenfahrten hatten wir zusätzlich noch einen Daunenoverall an!!!). Man kann sich gut vorstellen, dass es etwas Übung brauchte, sich so bepackt zu bewegen. Ausserdem tränten mir durch den ewigen eisigen Wind immer wieder die Augen, was dazu führte, dass die Wimpern zufroren und ich die Augen nicht mehr öffnen konnte. Es war mühsam, sich immer wieder die Wimpern eisfrei rubbeln zu müssen! Übrigens galt das selbe auch fürs Naseputzen, da die Härchen in der Nase auch zufroren. Naja, bei Wind-chill Temperaturen von -40 Grad eigentlich nicht erstaunlich.

Der nächste Tag war viel angenehmer, da der Wind fehlte. Und so haben wir es gewagt, eine Snowscooter-Fahrt zu machen. Es war herrlich, wir vier und ein Führer. Wir waren vier Stunden unterwegs in spektakulärster Natur. Das Sonnenlicht war eine Woche vor unserer Ankunft zurückgekehrt, und täglich war es 20 Minuten länger hell, danach kam eine wunderschöne Dämmerungsstimmung - atemberaubend.  Kaum fährt man aus Longyearbyen hinaus, ist man in der Wildnis. Keine Häuser, keine Menschen, keine Tiere, nur Eis, soweit das Auge reicht, Berge und der Vollmond.

Die Snowscooter haben Griff- und Fussheizungen, so dass die Extremitäten nicht abfrieren, denn der Fahrtwind kühlt ganz beträchtlich. Jede Stunde haben wir eine Rast gemacht, sind umhergegangen, haben den Kreislauf etwas aktiviert und haben heissen Sirup getrunken. Der Grundumsatz beträgt bei diesen Temperaturen ca. 8000 kcal/Tag!!! Also bekamen wir wie gesagt heissen Sirup: ein Drittel der Tasse wurde mit Sirup gefüllt, der Rest der Tasse mit heissem Wasser. Dieses "Gesöff" hatte eine Konsistenz von Yoghurt und war sehr, sehr süss. Aber ohne den heissen Sirup war es nicht möglich sich warm zu halten.

Der Führer war gesetzlich verpflichtet, einiges mitzunehmen (neben dem Sirup...); Er hatte einen Zusatzschlitten dabei, auf dem man eine Person liegend hätte transportieren können, daneben noch ein Notfallbiwakierzelt, einen Kocher, Essen für fünf Personen für einige Tage, Notpeilsender, Satellitentelefon, Gewehr gegen Eisbären, Leuchtpistolen, eine Axt, Schaufeln, Messer, Plane gegen Unterkühlung, Erste-Hilfe-Koffer u.ä. Zum Glück haben wir von diesen Dingen nie Gebrauch machen müssen.

Das Snowscooterfahren ist erstaunlich einfach, sich zu orientieren dafür umso schwerer. Schon nach der dritten Kurve hatte ich keine Ahnung mehr, aus welcher Richtung wir gekommen waren. Wir sind über Gletscher, zugefrorene Fjorde gefahren - wunderschön. Svalbards Leitsatz, hier herrsche die Natur und wir Menschen seien hier nur zu Gast, ist so wahr. Die Natur ist derart stark, und wir sind so klein dagegen.

Der darauffolgende Tag hat dies nur bestätigt. Diesmal waren wir mit Hundeschlitten unterwegs. Was für Hunde das sind! "Born to run", so nennen sie sie hier. 80 bis 90 km/Tag legen sie zurück - und mit welcher Freude! Unsere Ankunft im Zwinger war spektakulär. Das Wetter war die letzten zwei Monate so schlecht gewesen, dass die Einwohner Longyearbyens den Ort nicht hatten verlassen können. Und somit die Hunde natürlich auch nicht. Als wir also ankamen, ging ein riesiges Heulkonzert los. 70 Hunde, die Schnauze in die Höhe gestreckt, in wolfsähnlichem Heulen... Wir haben unsere eigenen Worte nicht mehr verstanden. Die Hunde waren total aufgeregt und haben entsprechend "gezappelt". Dies hat das Einspannen der Schlitten (wir waren auf vier Schlitten unterwegs) zu einem Spektakel werden lassen. Die Huskys sind immer wieder übers Seil gesprungen, dann wieder unten durchgekrochen, haben sich gebalgt, so dass am Ende nur noch ein Knäuel Hunde übrig blieb, den es zu entwirren galt. Dann ging es endlich los. Die Hunde waren paarweise eingespannt, je 6 bis 8 Hunde pro Schlitten. Am vordersten Schlitten waren die Führhunde (die vordersten zwei natürlich), die auf Zurufen von "links" und "rechts" in die entsprechenden Richtungen rannten. Oder besser gesagt rennen sollten. Denn unser Führhund war ein sieben Monate alter "Lehrling", der wie gesagt, seit zwei Monaten nicht mehr richtig im Gespann unterwegs gewesen war und die Umgebung noch nie bei Tageslicht gesehen hatte (Die Polarnacht war ja erst seit 8 Tagen um). Entsprechend erstaunt und begeistert hat er sich die Berge angeschaut und ist dabei, ohne es zu merken, immer in die falsche Richtung gerannt. Unter großem Gelächter unsererseits und grossem Gebrüll von Seiten der Hundeführerin konnten wir "Nestor" schliesslich auf den richtigen Weg führen. Die Fahrt war phantastisch. Wunderschönes Wetter, eine tolle Landschaft, viel Ruhe (die Snowscooter sind laut und stinken), man hörte nur das Tappen der Pfoten, das Knirschen der Schlitten im Schnee und das Hecheln der Hunde. Wirklich ein Erlebnis.

Auch der nächste Tag zeigte uns eine Welt für sich. Wir haben uns mit einem Führer 25m tief in einen Gletscher hinabgestiegen. Im Sommer entstehen vom Schmelzwasser Kanäle, die man im Winter begehen kann, da sich die Gletscher nicht bewegen (sie bewegen sich schon, aber nur ca. alle 100 Jahre, dafür aber um mehrere km aufs Mal). Es war stockdunkel dort unten, wir trugen Stirnlampen und gingen durch Höhlen, die wie Stalaktiten/miten aussahen. Überall waren die Eiskristalle -  wunderschön. Und dies bei angenehmen -4Grad! Wir konnten sogar zum Teil ohne Handschuhe umhergehen.

Die zweite Snowscooterfahrt war noch spektakulärer als die erste. Wir sind zu einem riesigen Fjord gefahren, der ganz zugefroren war. Auf dem Meereis haben Rentiere "gegrast" (was sie dort zu fressen gefunden haben, ist mir schleierhaft). Diese Weite, Ruhe. Ich verstand plötzlich, dass man früher dachte, die Erde sei eine Scheibe und an deren Ende angekommen falle man hinunter. Ich hatte das Gefühl, mich am oberen Rand der Scheibe zu befinden. Weiter oben gibt's dann nichts mehr.

Dieses Gefühl wurde beim Verlassen von Svalbard noch deutlicher. Der Abflugstag war eiskalt, -42 Grad ohne Fahrtwind... Als wir am Flughafen aus dem Auto stiegen (es gibt ein paar wenige Strassen) und ein Schild mit "Camping" sahen, sind wir fast erfroren. Wer campiert schon bei diesen Temperaturen?!? Ich würde nicht einmal im Sommer dort campieren!

Der Himmel war wolkenlos. Entsprechend atemberaubend war der Flug. Es wurde uns schlagartig klar, woher der Name "Spitzbergen" stammt.  Die Berggipfel der Alpen sind Dreck dagegen. Noch fesselnder fand ich das Packeis. Dieses sieht von oben aus wie Pflastersteine. 500 km lang Richtung Süden sind wir ausschliesslich über Packeis geflogen. Wenn man bedenkt, das von dem Punkt aus 1500km lang Richtung Norden alles Wasser zugefroren ist, alles eine Rieseneisschicht, dann wird einem die Macht dieser arktischen Natur so richtig bewusst -  und gleichzeitig auch, wie unbedeutend, wie klein wir Menschen im Vergleich dazu sind.

Eine ungeheuerlich bereichernde Reise: nach aussen und nach innen. Svalbard, ich werde wiederkommen!
 


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